Die Zeichnungen wurden nach objektiv messbaren Kriterien wie z.B. Häufigkeit der Farben oder räumliche Lage, Anordnung oder Bewegungsrichtung der Form ausgewertet und ausführlich diskutiert. Als einzelnes Beispiel sei herausgegriffen, dass die guten Formen viele der Eigenschaften der von der Gestaltpsychologie beschriebenen “guten“ Gestalt aufweisen. Die guten Gestalten zeichnen sich durch Regelmäßigkeit, Symmetrie, Einheitlichkeit, Harmonie, maximale Einfachheit und Prägnanz aus. Auch Kreitler & Kreitler weisen in ihrem Buch „“Psychologie der Kunst“ darauf hin, dass einige Formbedeutungen von Menschen verschiedener Kulturen und verschiedenen historischen Zeitabschnitten geteilt werden und stellen auch die Frage nach den Determinanten dieser Bedeutungen. Eine von psychologisch orientierten Kunsttheoretikern bevorzugte Theorie versucht diese Bedeutungen in Archetypen zu verankern. Archetypen, die nach Jung genetisch ererbt werden und auch mit grundlegenden und immer wieder auftretenden menschlichen Erlebnissen physikalischer, sozialer und möglicherweise kosmischer Natur in Verbindung stehen und in einer Art “Rassengedächtnis“ begründet sind. An dieser Stelle verweisen Kreitler & Kreitler auch auf die synästhetische Wahrnehmun.
Synästesie: beim Erleben einer Farbform werden assoziativ und direkt die Inhalte anderer Sinnesorgane mitangeregt, wobei sich deren Erlebnisinhalte mit den rein visuellen zu einem Gesamterleben verschmelzen. Karwoski et al. (1942) zeigten, dass viele Menschen große, dicke, winkelige, aufwärtsgerichtete und deutliche Formen als der Lautstärke in der Musik entsprechend betrachten, während sie kleine, dünne, eckige, und geradlinige Formen als Äquivalent zu schneller Musik ansehen. Einer der legendären Versuche einen Brückenschlag zwischen Malerei und Musik zu wagen, war die Zusammenarbeit zwischen Wassily Kandinsky und dem Komponisten Thomas de Hartmann in München kurz vor dem Ersten Weltkrieg. “Der Gelbe Klang“, eine “Farben-Oper“ im Sinne eines Gesamtkunstwerks war der Versuch Tanz, Theater, Malerei und Musik vollkommen aufeinander abzustimmen. Zusammenfassend stellt Kandinsky fest: ”Im Allgemeinen ist also die Farbe ein Mittel, einen direkten Einfluss auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Seiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt. So ist es klar, dass die Farbenharmonie nur auf dem Prinzip der zweckmäßigen Berührung der menschlichen Seele ruhen muss. Diese Basis soll als Prinzip der inneren Notwendigkeit bezeichnet werden.“ Welche Saiten beim Betrachter eines Bildes erklingen ist jedoch wieder weitgehend von ihm selbst abhängig. Beim Tuanima-Test kürt der Proband nach Maßgabe der jeweiligen affektiven Besetzung das entsprechende Thema selbst. Holger Höge berichtet in einem Beitrag “Bildwahrnehmung und ästhetisches Erleben“26 über ein Experiment zur Rolle der Emotionen im Informationsverarbeitungsprozess:
Zwei Gruppen von Versuchspersonen wurden durch jeweils unterschiedliche Manipulation in verschiedene Stimmungen versetzt. Eine Gruppe befand sich in gehobener Stimmung, während die andere deprimierte Stimmung aufwies. Beiden Stichproben wurden nun dieselben fünfzehn Gemälde gezeigt, zu denen sie anschließend ihre Assoziationen auf ein Tonband sprechen sollten. Die Auswertung zeigt, dass sich die Art der Assoziationen deutlich unterscheidet, je nachdem unter welcher Stimmungsbedingung die Versuchsperson stand. Höge meint, dass man mit einem solchen Vorgehen nachweisen kann, dass die Bedeutung eines Bildes nicht durch die reizabhängigen Informationen ein für allemal festgelegt ist, sondern dass diese Bedeutung als Mischung von Informationen, die außerhalb des Subjektes liegen und Informationen, die innerhalb des Subjektes verfügbar sind, erst generiert
wird; d.h. unter Verwendung beider Informationsarten wird eine neue, zuvor nicht dagewesene Information geschaffen, und dies ist die kreative Leistung des Rezipienten im Vorgang der Rezeption. Rudolf Arnheim betont in seinem Beitrag “Abbilder als Mitteilung“ wiederholt, dass die Wahrnehmung kein bloßes passives Empfangen, sondern immer schon ein aktives Begreifen ist und zitiert Spinoza, der am Anfang des zweiten Teils seiner Ethik “Idee“ als einen Begriff der Seele definiert und dazu erläutert, er sage lieber “Begriff“ (conceptus) als “Wahrnehmung“ (perceptio), weil das Wort Wahrnehmung anzudeuten scheint, dass “die Seele vom Objekt leide, wogegen Begriff eine Tätigkeit der Seele ausdrückt“. Im Reich-Test wird der Proband gebeten den jeweiligen Spitzenreiter, (die affektiv gut/böse stärkst besetzten Bilder) in einem Malversuch, nach kurzer, nochmaliger Darbietung aus dem Gedächtnis zu malen.
“Beim Abbilden geht es um die Fähigkeit des Menschen, der Welt der Dinge aus eigenen Willen eine zweite Welt entgegenzusetzen, in der er sich sozusagen für die erste revanchiert, sie aufbewahrt, erkundet und nach Wunsch verändert. Diese der bloßen Wahrnehmung und Erinnerung gegenübergestellte zweite Welt des Geistes ist das Sonderrecht des Menschen. Es macht ihn zum homo pictor, zum Schöpfer von Abbildungen. Als eine Übersetzung des Geistigen in körperlich Sichtbares wird das visuelle Abbild zu einem Hauptmittel der Symbolik. Symbolik macht das Gedachte anschaulich.“
Das Ergebnis des Malversuchs wird dann im Hinblick der verwendeten Leitfarben, der bevorzugten Formen, Weglassungen und Hinzufügungen sowie auch gewisser Kriterien der Raumsymbolik interpretiert. “Raumsymbolische Kriterien gewichten die jeweiligen Bildinhalte in der Raumanordnung und Aktionsrichtung nach qualitativen Gesichtspunkten wie regressiv – progressiv, passiv – aktiv, der Vergangenheit ausgerichtet etc. Es ist ein leicht zu handhabender Parameter, der aber wichtige qualitative Einschätzungen der Bildinhalte ermöglicht.“ Gestalterfassung und visuelle Informationsverarbeitung sind funktionell eng an die rechte Hemisphäre gebunden. Aus der jüngsten neuropsychiatrischen Forschung (Flor-Henry, P.) ist zu entnehmen, dass verschiedene Formen der Depression auf eine Funktionsstörung der rechten Hemisphäre zurückzuführen sind. So nimmt es nicht weiter wunder, dass gestalterische oder bildnerische Verfahren sowohl als Therapeutikum als auch Diagnostikum einen sehr guten Zugang zur Depression
schaffen (s. Reiter). Absicht der Arbeit war es, den anregenden Versuch Heinrich Reichs, abstrakte Farbform-Bildnereien zu bestimmten archetypischen Themen zu entwerfen, darzustellen und auf die vielfältigen Probleme dieses Versuches, die sich in so verschiedene Gebiete wie die Psychologie, Physiologie, Ästhetik, Philosophie, Kunst etc. verzweigen, und deren fruchtbares Zusammenwirken hinzuweisen.